Behinderter Berliner in eigener Wohnung ausgeraubt

Eingetragen von Rechtsanwalt Roland Weber MBE am 19. Mai 2012 zum Thema Opfervertretung

Von Michael Mielke

Weil sie einen behinderten Berliner brutal überfallen haben, müssen die vorbestraften Täter für fünfeinhalb und vier Jahre ins Gefängnis.

Christian F. sitzt an allen Verhandlungstagen mit im Saal. Im Rollstuhl. Das ist nicht günstig für die beiden Angeklagten, die ohnehin hohe Strafen zu erwarten haben. Aber nun ist auch noch Christian F. dabei, der sich in diesem Prozess vor einer Moabiter Jugendkammer kein Wort entgehen lässt, der verbittert wirkt und wütend zugleich. Später wird der 49-Jährige sagen, dass ihn am meisten geärgert hat, dass er sich nicht wehren konnte. Und dass er “dieses Typen, die ja noch halbe Kinder sind, bei dem Überfall einfach so ausgeliefert” gewesen sei.

Am 21. November 2011 wurde Christian F. überfallen. Es saß gerade beim Frühstück im Wohnzimmer seiner Parterrewohnung an der Wutzkyallee in Gropiusstadt, als gegen acht Uhr der 19-jährige Arthur Fl. gegen die Scheibe der Terrassentür klopfte. Christian F. öffnete sie arglos. Alles andere ging dann sehr schnell: Arthur Fl. versuchte, den mit Krücken vor der Tür stehenden Mann mit einem Elektroschocker zu betäuben. Christian F. wich zurück, kam aus dem Gleichgewicht und fiel auf den Rücken. Der zweite Eindringling, der 18-jährige Ramazan B., riss ihm eine der Krücken weg und begann, auf das wehrlose, um Hilfe schreiende Opfer einzuschlagen. Christian F. wurde mehrfach am Kopf und an seinem rechten Arm getroffen, den er schützend vors Gesicht hielt. Er erlitt Platzwunden, Prellungen und am rechten Handgelenk einen komplizierten Knochenbruch. Der Krückstock war danach verbogen. Christian F. hat ihn mit in den Gerichtssaal gebracht.

Die Beute war lange nicht so groß wie erhofft. Ein wenig goldener Schmuck und das neue Handy der Tochter. Sie verkauften die Sachen in Geschäften an der Neuköllner Karl-Marx-Straße. Das Handy bot Arthur Fl. in einem Secondhand-Laden unter seinen echten Personalien an. So kamen die Ermittler auf seine Spur. Arthur Fl. soll dann auch sehr schnell ein Geständnis abgelegt und den Namen seines Komplizen genannt haben. Beide Angeklagten waren der Polizei lange schon bekannt. Beide sind mehrfach vorbestraft. Der türkischstämmige Ramazan B. wurde den Akten zufolge bereits mit elf Jahren “strafrechtlich auffällig”. Im November 2008 bekam er wegen versuchter Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung eine Jugendstrafe von drei Jahren. Im November 2010 wurde der Rest dieser Strafe zur Bewährung ausgesetzt.

Die Strafakte des aus Estland stammenden Arthur Fl. ist fast deckungsgleich. Auch er stand noch unter Bewährung. Zum Zeitpunkt des Überfalls auf die Familie F. war er in einer Jugendhilfeeinrichtung im brandenburgischen Casekow untergebracht. Dort besuchte er die elfte Klasse. Er und Ramazan B. kannten sich aus einem Aufenthalt in einer anderen geschlossenen Einrichtung. Und als Ramazan B. anrief und von der vermeintlich so reichen Familie F. erzählte, war Arthur Fl. getürmt und nach Berlin gefahren.

sehr auf seinen blutigen Kopf zu achten: “Meine rechte Hand hat viel mehr weh getan.” Im Nachhinein ist die Schrägfraktur des rechten Handgelenks für ihn auch die schwerwiegendste Verletzung. Der Verwaltungsfachwirt, angestellt im Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg, ist seitdem krank geschrieben. Dadurch hat er monatlich Einbußen von rund 300 Euro. Aber viel schlimmer ist für ihn, dass die Hand nicht heilen will. “Vorher konnte ich wenigstens zeitweise noch an Krücken laufen, heute nicht mehr”, sagt der große, kräftige Mann, der als 19-Jähriger sein Bein bei einem Motorradunfall verlor. Geblieben sei auch eine große Verunsicherung: “Ich bin misstrauisch geworden.” Christian F. öffnet die Wohnungstür nur noch nach telefonischer Anmeldung. Und er wagte sich monatelang nicht mehr in sein kleines, unmittelbar vor seiner Parterrewohnung gelegenes Gärtchen, das sein “ganzer Stolz” war. Erst mit Beginn dieses Prozesses, als er für sich selbst feststellte, “dass die Täter hinter Gittern sind und so bald wohl auch nicht wieder raus kommen”, hat er sich mal wieder allein hinaus gewagt. Aber richtig Freude hat er an dem Gärtchen nicht mehr.

Anwalt Roland Weber, der für Christian F. die Nebenklage vertritt, hat schon viele Opfer vertreten. “Aber dieser Fall hier, diese Brutalität gegen einen behinderten Menschen”, sagt er, “das ist auch für mich schier unglaublich.” Ähnlich sieht es die Vorsitzende der Jugendkammer, Iris Berger. Sie schaut während der Verhandlung immer wieder zu Christian F., sieht seine Wut-Tränen. “Was die Angeklagten getan haben, ist gemein, brutal, unmenschlich und an Feigheit kaum zu überbieten”, sagt sie bei ihrer Urteilsbegründung. Sie frage sich, “ob es für diese jungen Menschen überhaupt noch so etwas wie einen Ehrenkodex” gebe.

Ramazan B. wird zu fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt, Arthur Fl. zu vier Jahren. Die offenen Bewährungsstrafen werden angerechnet. Beide schauen zu Boden, als das Urteil verkündet wird. Als fürchten sie die Blicke des Mannes, der ein paar Meter entfernt im Rollstuhl sitzt. Und dessen ohnehin hartes Leben sie wohl für immer verändert haben.


Beitrag erschienen in: Berliner Morgenpost

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