“Er hatte keine Chance, beim Wetttrinken zu gewinnen”

Eingetragen von Rechtsanwalt Roland Weber MBE am 04. Jul 2009 zum Thema Opfervertretung

Aytac G. hatte mit dieser Strafe offenbar gerechnet. Auf dem Gesicht des 28-Jährigen gab es keine Regung, als der Schwurgerichtsvorsitzende Peter Faust das Urteil verkündete: drei Jahre und fünf Monate Haft wegen Körperverletzung mit Todesfolge und Ausschanks von Alkohol an Jugendliche.

Faust sagte zu Beginn seiner Urteilsbegründung, dass er anfangs die Anklage gegen Wirt selber nicht verstanden habe: “Meine erste Regung war zu denken: Warum soll das strafbar sein?” Immerhin habe der 16-jährige Lukas W. dieses Wetttrinken ja selber angezettelt und mithin eingewilligt, sich daran zu beteiligen. “Selbstgefährdung ist üblich in diesem Land”, sagte Faust, egal ob es sich um den Genuss von Alkohol und Tabak, um Motorradfahren oder Drachensegeln handele. “Jedem steht es frei, sich selbst zu gefährden, das ist der Preis der Freiheit.” Dieser hier verhandelte Fall habe sich dann aber doch anders dargestellt. Zu prüfen war von dem Gericht unächst, ob tatsächlich eine Körperverletzung vorliegt. Die Kammer habe das nicht wegen des jugendlichen Alters des Opfers bejaht, sagte der Richter: “Er war kräftig, gesund und alkoholgewohnt.” Ausschlaggebend sei gewesen, “dass es kein fairer Wettkampf war”. Aytac G. habe sich mindestens 20 Mal heimlich Wasser in sein Glas gießen lassen, während für Lukas W. jedes Mal Tequila eingeschenkt worden sei. “Der Jugendliche ging davon aus, dass er bei diesem Wetttrinken siegen würde. Er wusste nicht, dass er gar keine Chance hatte zu gewinnen.” Und er habe das Risiko des sehr schnellen Trinkens anhand des Zustandes seines Gegenübers auch nicht bewerten können. “Es sollte getrunken werden, bis sich einer erbricht oder einer umfällt”, sagte Faust. “Ziel war eine Köperverletzung.” Und die müsse dem Angeklagten hier nun auch zugerechnet werden. Geprüft werden musste außerdem, ob Aytac G. bei dem Tod des Schülers fahrlässig gehandelt hatte, denn nur dann war es auch eine Körperverletzung mit Todesfolge. Das Schwurgericht bejahte auch das. Der Angeklagte habe objektiv gewusst, dass so ein extremes Wetttrinken gefährlich werden könne. Aber auch aus eigener Erfahrung seien ihm die Folgen bekannt gewesen. Richter Faust erwähnte ein anderes Wetttrinken mit dem Wirt, bei dem ein junger Mann einige Wochen zuvor zusammengebrochen war und sich eingenässt hatte. Auch damals sei schon erwogen worden, einen Arzt zu holen.

Rechtsanwalt Roland Weber, der für den Vater von Lukas W. vor Gericht die Nebenklage vertrat, begrüßte das Urteil. “Es ist ein klares Signal, dass das Verhalten des Wirtes nicht nur moralisch verwerflich, sondern eindeutig auch strafbar war.” Sein Mandant hoffe, dass die Länge des Verfahrens dazu beigetragen habe, aufzuklären, welche Gefahren von exzessivem Alkoholkonsum ausgehen können.

Samstag, 4. Juli 2009 04:00 - Von Michael Mielke


Beitrag erschienen in: Berliner Morgenpost, 4. Juli 2009

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