Freisprüche im Rossmann-Prozess

Eingetragen von Rechtsanwalt Roland Weber MBE am 05. Dez 2006 zum Thema Opfervertretung

Ob Silvio S. der Mörder ist, wird wohl kaum noch geklärt werden können. Der 20-Jährige und der vier Jahre ältere Mitangeklagte Murat Ö.

Berlin Ob Silvio S. der Mörder ist, wird wohl kaum noch geklärt werden können. Der 20-Jährige und der vier Jahre ältere Mitangeklagte Murat Ö. wurden von der 18. Großen Strafkammer des Berliner Landgerichts freigesprochen. Beiden war von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, am 10. Dezember vergangenen Jahres an dem Überfall auf eine Rossmann-Filiale an der Wiltbergstraße im Ortsteil Buch beteiligt gewesen zu sein. Murat Ö., hieß es, habe Schmiere gestanden. Silvio S. soll vor der Filiale gewartet und dann die stellvertretende Filialleiterin Regina G. erstochen haben.

“In der viertägigen Beweisaufnahme ist es nicht gelungen, dieses schreckliche, sinnlose Verbrechen aufzuklären”, sagte der Vorsitzende Richter Bernd Miczajka. Es sei “auch für die Kammer unbefriedigend, dass dieser Mord zunächst ungesühnt bleibt”. Die Beweise gegen die beiden Angeklagten hätten jedoch keineswegs ausgereicht, und es kämen durchaus auch andere Täter in Betracht.

Miczajka beschrieb noch einmal die Situation, wie sie sich nach Beschreibung von zwei Verkäuferinnen der Rossmann-Filiale ereignet hatte: Sie und Regina G. verließen am Tattag um 18.17 Uhr das Geschäft. Es war schon dunkel. Ein Bewegungsmelder löste eine Neonlampe aus. In diesem ungünstigen Licht sahen die Zeuginnen dann den mit einer Sturmmaske vermummten Täter hinter einem Rollcontainer hervorkommen. “Los, zurück!” soll er akzentfrei gesagt haben. Regina G. habe sich dem widersetzt und sei auf ihn zugegangen. Vielleicht habe sie das Messer, das der Mann drohend in der linken Hand gehalten habe, nicht gesehen, vermutete der Richter. Vielleicht habe sie ihn auch vertreiben wollen. Der Täter habe dann, bevor er flüchtete, das Messer unvermittelt und sehr kräftig in den Brustbereich der 46-Jährigen gestoßen.

Die Verkäuferinnen hatten nach Meinung des Gerichts bei ihren Zeugenaussagen dann aber nur sehr vage, teilweise auch widersprüchliche Beschreibungen des Täters abgegeben. Das begann schon bei der Größe. Eine Verkäuferin, sie ist 1,63 Meter groß, hatte gesagt, sie habe zu dem vermummten Mann aufschauen müssen. Die Zweite sprach von etwa 1,84. Bei Beschreibung der Kleidung gab es verschiedene Angaben: Mal war von einer Jacke, mal von einem Pullover die Rede. Noch weniger verwertbar, sagte Miczajka, seien die Aussagen von zwei Passanten gewesen. Bei einem habe vermutlich die Belohnung von 5000 Euro im Vordergrund gestanden.
Auch am Mantel des Opfers gefundene Faserspuren, die Grundlage für die Anklageerhebung waren, reichten nicht für eine Verurteilung. Zwar wurden gleiche Fasern in der unweit des Tatortes gelegenen Wohnung der Schwester von Silvio S. gefunden. Sie konnten ihm jedoch nicht eindeutig zugeordnet werden. Olaf Franke, Anwalt von Silvio S., hatte in seinem Plädoyer kritisiert, dass die Sachen bei einer Hausdurchsuchung zunächst wahllos auf einen Haufen geworfen worden seien. Erst im Anschluss hätten Kriminaltechniker die Kleidungsstücke separat in Plastiktüten verstaut. So sei nicht mehr nachweisbar, wo und wann sich welche Faserspuren vor dieser Durchsuchung befunden hätten.
Miczajka ergänzte, dass sich in der Wohnung viele männliche Personen aufgehalten hätten, einige aus dem kriminellen Milieu. Besonders viele Faserspuren seien auf zwei Hosen gefunden worden, die vor allem der Lebensgefährte der Schwester von Silvio S. getragen habe. Der Albaner wurde inzwischen wegen eines anderen Delikts zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, flüchtete aber nach dem Aussetzen des Haftbefehls. Auch dieser Mann, so der Richter, käme als Täter in Frage.
Staatsanwalt Bernhard Gierse hatte für Murat Ö. einen Freispruch mangels Beweisen und für Silvio S. eine zehnjährige Jugendstrafe beantragt. Im Gegensatz zum Gericht sah Gierse jedoch keine Anhaltspunkte für eine Täterschaft des Albaners.
Witwer und Kinder des Mordopfers erschienen nicht zur Urteilsverkündung. Nach Angaben ihres Anwalts Roland Weber waren sie enttäuscht vom Verlauf des Prozesses. “Sie hatten sich Aufklärung über den Tod der Ehefrau und Mutter erhofft”, so Weber. Sie hätten nach der Zeugenanhörung schließlich aber selbst Zweifel gehabt, ob Silvio S. der Mörder und Murat Ö. der Mittäter sei.

Dienstag, 5. Dezember 2006 04:00 - Von Michael Mielke


Beitrag erschienen in: Berliner Morgenpost

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