Oliver A. tötete ein Ehepaar - ein Motiv hatte er nicht

Eingetragen von Rechtsanwalt Roland Weber MBE am 11. Jan 2003 zum Thema Opfervertretung

Prozess wegen Doppelmordes in einem Weißenseer Einfamilienhaus .

Während Oliver A. redet, können die Zuschauer im Gerichtssaal nur seinen Hinterkopf sehen. Es ist ein fast kahlrasierter Kopf mit dunkler Haut. Oliver A.s Vater ist Kongolese, seine Mutter Deutsche. In der Mitte zwischen zwei silbernen Ohrringen hebt sich eine kleine helle Narbe ab. Sie ist alt und längst verheilt, aber sie fällt auf, weil Oliver A. drei Stunden lang redet und dabei seinen Kopf kaum bewegt - wer ihm zuhört, muss automatisch auf die weiße Narbe starren.

Oliver A. ist 32 Jahre alt und steht seit gestern wegen Doppelmordes vor der 40. Großen Strafkammer des Berliner Landgerichts. Er brach am Morgen des 10. August in ein Weißenseer Einfamilienhaus ein. Der 63-jährige Eigentümer Günter R., Bauunternehmer im Ruhestand, und seine 42-jährige Ehefrau Bärbel R., eine Erzieherin - schreckten aus dem Schlaf und wurden mit einem Fleischmesser niedergestochen. Günter R. war sofort tot. Seine Frau beschrieb den Täter noch als einen “Mann mit dunkler Hautfarbe”. Sie lag dann drei Monate lang im Koma und starb im November an einer Lungenentzündung.

Hinten auf der Besucherbank sitzen acht Nebenkläger, darunter die Mutter von Bärbel R. und vier Kinder aus früheren Ehen des Ehepaars. Ein 16-jähriges Mädchen, das seine Mutter schwer verletzt im Garten fand, muss als Zeugin aussagen. Sohn und Tochter von Günter R. sind etwa in dem Alter wie der Angeklagte. Während sie auf die Narbe starren, hören sie, wie Oliver A. aufzählt, was er in der Nacht vor der Tat alles zu sich nahm. Von einigen großen Bieren ist die Rede, von “etwas Rotwein” und kleinen Schnäpsen, auch von einem dreiviertel Gramm Kokain, über die Nacht verteilt geschnupft, und von ebenso viel Speed.

Oliver A. kennt sich mit Drogen aus. Er wurde in Berlin geboren, hat mal eine Schlosserlehre begonnen, aber nie zu Ende gebracht. Er lebte stattdessen von Sozialhilfe und Drogenhandel.

Auf eine Erklärung dafür, warum Oliver A. am Morgen des 10. August zwischen sechs und sieben Uhr durch ein geöffnetes Fenster im Wintergarten in das Haus der Eheleute R. einstieg, warten die Angehörigen des getöteten Ehepaars vergeblich. Er sagt “ich weiß nicht, warum” und erzählt stattdessen von seinen Gewohnheiten im Rausch. Davon, dass er an den Wochenenden gern durch Diskos und Bars zog und es angeblich nicht selten vorkam, dass er morgens in einer fremden Wohnung aufwachte und nicht wusste, wo er war. Erschrocken darüber, dass das Ehepaar R. von knarrenden Dielen erwachte, will er zu einem Küchenmesser gegriffen und in Panik erst auf die Frau und dann auf den Mann eingestochen haben.

Was den Grund für Einbruch betrifft, wird sich das Gericht wohl mit seinen Erklärungen begnügen müssen. Denn es gibt bisher keine Anhaltspunkte für eine andere Version, allenfalls Spekulationen. So vermuteten die Ermittler zunächst, dass Oliver A. stehlen wollte. Aber er hatte genügend Geld bei sich und in dem Haus hat nichts gefehlt. Für wahrscheinlicher hält die Polizei, dass er der 16-jährigen Tochter von der Disko aus nachschlich - das Mädchen kam wenige Minuten vor ihm nach Hause und hat Oliver A. vom Fenster ihres Zimmers aus auf der Straße gesehen.

Jedenfalls ist Oliver A. wegen Sexualdelikten bereits aufgefallen. Mit 17 soll er von einem DDR-Gericht wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes verurteilt worden sein. Außerdem läuft ein Ermittlungsverfahren wegen einer Vergewaltigung kurz vor den Morden in dem Weißenseer Einfamilienhaus.

Dass die Polizei den Täter schnell fassen konnte, hatte einen anderen Grund. Am Pool lag eine Zigarettenkippe und Oliver A. war in der DNA-Bank des Bundeskriminalamtes erfasst: Er hatte im Vollrausch einen Mann erschlagen und war 1996 zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt worden.

“Ich gehe davon aus, dass ich es gewesen bin. Die einzige Frage, die mich beschäftigt, ist die Frage nach dem Warum. ” Angeklagter Oliver A.

11.01.2003, Sabine Deckwerth


Beitrag erschienen in: Berliner Zeitung

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