Opferschutz bedeutet auch Gewaltprävention

Eingetragen von Rechtsanwalt Roland Weber MBE am 05. Dez 2012 zum Thema Opfervertretung

Roland Weber versteht sich als Lotse zwischen Justiz, Polizei und Opfern. Als erster Opferbeauftragter Deutschlands in Berlin beschreibt er die Aufgaben des neuen Amtes.

Von Stefanie Schütten

ZEIT ONLINE: Herr Weber, Anfang Oktober ernannte der Berliner Justizsenator Thomas Heilmann Sie zum ersten landesweiten Opferbeauftragten in Deutschland. Warum braucht Berlin einen Opferbeauftragten?

Roland Weber: Sicher nicht, weil es hier so schrecklich ist, sondern um den Opferschutz zu verbessern.

ZEIT ONLINE: Aber ist Berlin wirklich so sicher? Die Anzahl der Straftaten ist im vergangenen Jahr gestiegen. Außer in Bremen gibt es nirgendwo in Deutschland mehr Gewaltverbrechen pro Einwohner.

Weber: Man sollte diesen kurzfristigen Trend nicht überbewerten. Genau wie im bundesweiten Durchschnitt sind die Kriminalitätsraten auch in Berlin jahrelang gesunken.

ZEIT ONLINE: Wie erklären Sie sich dann den Anstieg der Kriminalität im vergangenen Jahr? Vor allem Diebstähle haben in hohem Maße zugenommen.

Weber: Genau weiß ich das nicht. Ein Grund könnten reisende Tätergruppen aus Osteuropa sein, die auf Taschendiebstähle bei Touristen oder auf Wohnungseinbrüche spezialisiert sind. Solche Banden werden in Berlin zunehmend zum Problem. Eine weitere Entwicklung, die ich mit Sorge beobachte, betrifft Berlins Außenbezirke. Die steigenden Mieten haben viele sozial schwache Familien dorthin vertrieben. So entstehen vielerorts neue soziale Brennpunkte. Ich frage mich, in welcher anderen deutschen Stadt es so trostlose Bezirke wie Hellersdorf und Marzahn gibt.

ZEIT ONLINE:
Sind die sozialen Probleme in Berlin größer als in anderen Großstädten?

Weber: Das würde ich so nicht sagen. Die Lage in Berlin wird allerdings durch die leeren Stadtkassen verschärft. Reicheren Städten steht viel mehr Geld für Präventionsmaßnahmen zur Verfügung. Hier schreiben die Bezirke gerade wieder Brandbriefe, weil es demnächst noch weniger Geld für Jugendarbeit geben soll. Wenn ich so etwas höre, sträuben sich mir die Nackenhaare.

Roland Weber (45) wurde am 1. Oktober 2012 zum Opferbeauftragten des Landes Berlin ernannt. Bevor er sich für den ehrenamtlichen Posten bewarb, war er jahrelang als Anwalt für Strafrecht im Opferschutz aktiv. Seine Ernennung beläuft sich zunächst bis zum Ende dieser Legislaturperiode (2016).

ZEIT ONLINE: Warum?

Weber: Natürlich muss Berlin sparen, aber ich halte es für keine gute Idee, ausgerechnet bei der Jugendarbeit zu kürzen. Denn darin sehe ich eine wichtige Präventionsmaßnahme. Jugendliche werden von der Straße geholt und geraten weniger schnell auf die schiefe Bahn.

ZEIT ONLINE: Sie, als Opferbeauftragter, fordern also mehr Geld für Problemjugendliche, also potenzielle Täter?

Weber: Ja, genau das fordere ich.

ZEIT ONLINE: Bräuchte die Opferhilfe das Geld nicht genauso dringend?

Weber: Wenn die Opferhilfe aktiv wird, ist es in gewisser Weise schon zu spät. Als Opferbeauftragter sehe ich es auch als meine Aufgabe, mich für Gewaltprävention einzusetzen. Natürlich gilt mein Hauptaugenmerk den Opfern, doch an Hilfsangeboten für Opfer mangelt es in Berlin eher nicht. Der Opferschutz benötigt also nicht zwangsläufig mehr Geld, sondern bessere Koordinierung und einen höheren Bekanntheitsgrad.

ZEIT ONLINE: Was können Sie für Opfer bedeuten?

Weber: Ich agiere als Lotse zwischen Justiz, Polizei und Opfern. Der Opferschutz soll durch meine Ernennung politisch ein stärkeres Gewicht bekommen. Außerdem befasse ich mich mit Schwachstellen.

ZEIT ONLINE: Was für Schwachstellen?

Weber: Oft sind es vermeintliche Kleinigkeiten, die für Opfer jedoch von großer Bedeutung sind. Ein Beispiel: Wenn Sie Anzeige bei der Polizei erstatten wollen, erhalten Sie ein Merkblatt über die Opferrechte. In seiner heutigen Form ist es für 80 Prozent der Betroffenen jedoch völlig unverständlich. Ich habe die Polizei schon früher darauf hingewiesen, aber damals war ich eben nur der “Anwalt Weber” und es änderte sich nichts. Jetzt mache ich den gleichen Vorschlag als Opferbeauftragter und, siehe da, die Angelegenheit kommt ins Rollen.

Ein anderes Beispiel: In jeder Ermittlungsakte steht auch die Adresse des Geschädigten. Und plötzlich haben Sie einen Entschuldigungsbrief des Täters im Briefkasten. “Woher hat der Typ meine Adresse?”, wollen Sie dann wissen. Ich verstehe solche Ängste und setze mich dafür ein, dass Anschriften künftig in der Akte geschwärzt werden und dass die Kommunikation ausschließlich über den zuständigen Anwalt läuft.

ZEIT ONLINE: Sie nannten sich einen “Lotsen” zwischen Behörden und Opfern. Was meinen Sie damit?

Weber: Die Behörden müssen verständlicher für den Bürger werden. Sie wissen oft nicht, was für die Bürger problematisch ist. Und den Menschen fällt es offensichtlich leichter, sich mit ihren Problemen an mich zu wenden.

Diese Woche kam zum Beispiel ein Migrantenverband auf mich zu, dessen Klientel eher misstrauisch gegenüber der Polizei ist. Viele Opfer mit Migrationshintergrund sehen daher von einer Anzeige ab; vor allem bei häuslicher Gewalt. Manchmal ist das Problem auch die Sprachbarriere. Ich habe die Gruppe in Kontakt mit dem Opferverband Weißer Ring gebracht, den sie bis dahin nicht kannte. So biete ich Opfern Alternativen.

ZEIT ONLINE: Sollen diese Opfer dann nicht zur Polizei gehen?

Weber: Selbstverständlich sollen sie das. Ich will den Opfern keine Alternative zur Polizei bieten, sondern ihnen andere Wege dorthin weisen. In Berlin gibt es zahlreiche Anlaufstellen für Opfer. Das Problem ist, dass die Betroffenen sie oft nicht kennen. Nur zehn Prozent aller Opfer in Berlin greifen auf Hilfsangebote wie den Weißen Ring, die Berliner Opferhilfe oder die Traumaambulanz zurück. Das will ich ändern. Längerfristig muss natürlich auch das Imageproblem der Polizei behoben werden.

ZEIT ONLINE: Wie erreichen Sie Opfer, die sich nicht direkt an Sie wenden?

Weber: Als eines meiner ersten Projekte habe ich eine Webseite ins Leben gerufen, auf der Opfer schnell und ohne Umwege zu der Hilfe finden, die sie benötigen. Ich war aber selbst überrascht, wie viele Menschen in den ersten Wochen nach meiner Ernennung auch von sich aus auf mich zukamen. Die Medienresonanz hat sehr dabei geholfen, das Thema “Opfer-Sein” mehr ins Bewusstsein der Menschen zu rücken.

ZEIT ONLINE: Bei Ihrem Amtsantritt sorgten Sie für Schlagzeilen, als Sie verkündeten, dass die Berliner Polizei letztes Jahr 77.916 Opfer registriert habe, was einem gefüllten Olympiastadion entspräche. Es ging um “Straftaten gegen die Freiheit und körperliche Unversehrtheit”, also sehr verschiedene Delikte, von Mord bis Handtaschenraub. Wie aussagekräftig ist diese Zahl?

Weber: Das kann man sich natürlich immer fragen. Das Problem ist, dass es keine gesetzliche Definition von “Opfer” gibt. Dadurch bleibt der Begriff immer ein wenig schwammig. Ich habe mich mit der Zahl bewusst nicht auf die schwersten Gewaltverbrechen beschränkt. Denn dann hätte es wieder geheißen: Mit “nur” 200 Tötungsdelikten im Jahr ist Berlin wahrscheinlich eine der sichersten Millionenstädte der Welt. Worüber beklagen wir uns eigentlich? Andererseits wollte ich auch nicht alle Delikte, wie etwa Betrug oder Einbruch, mit einbeziehen, denn dann wird die Zahl so wässrig, dass keiner mehr etwas damit anfangen kann.

ZEIT ONLINE: Wenn in meine Wohnung eingebrochen wird, können Sie mir als Opferbeauftragter also nicht weiterhelfen?

Weber:
Das wollte ich damit nicht sagen. Mein Tätigkeitsfeld beschränkt sich nicht auf die Opfergruppen, die unter die 77.916 fallen. Die Zahl war wirklich nur gedacht um den Leuten eine ungefähre Vorstellung zu geben, wie viele Opfer es in Berlin gibt. Ehrlich gesagt war ich selbst davon überrascht, wie viel Medienresonanz ich damit erreicht habe. Aber noch einmal zu den Wohnungseinbrüchen: Die Betroffenen leiden oft an großem psychischen Stress. Die Vorstellung, dass ein Fremder in den persönlichen Sachen, etwa der eigenen Wäsche, herumgewühlt hat, ist für viele Menschen sehr belastend. Natürlich bin ich auch für diese Opfer da.

ZEIT ONLINE: Ganz egal, welche Zahl aus der Polizeistatistik man sich anschaut, es handelt sich dabei immer nur um die bekannten Fälle. Können Sie etwas zu der Dunkelziffer sagen?

Weber: Leider nein. Das ist auch mein Problem: Aktuelle Studien über die Berliner Dunkelziffern gibt es nicht.

ZEIT ONLINE: Was wollen Sie mit Ihrer Arbeit politisch erreichen?

Weber:
Ich sorge dafür, dass der Opferschutz im täglichen politischen Geschäft nicht untergeht. Außerdem setzte ich mich für ganz konkrete Gesetzesänderungen ein. Nehmen Sie das Jugendstrafrecht. Dort ist es heute – im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht – nicht möglich, das Schmerzensgeld direkt im Strafprozess einzuklagen. Stattdessen muss der Fall noch einmal vor einem zivilen Gericht ausgerollt werden und das Opfer muss gegebenenfalls alles noch einmal erzählen. Das ist doch absurd.

ZEIT ONLINE: Beauftragten wird häufig nachgesagt, dass sie zu wenig Befugnisse haben, um wirklich etwas zu bewirken. Erkennen Sie dieses Problem?

Weber: Nein, ganz im Gegenteil. Bisher haben mir alle Seiten signalisiert, dass sie meine Arbeit schätzen und unterstützen. Zudem habe ich die volle Rückendeckung meiner Behörde. Dazu gehört auch intensiver Kontakt zum Justizsenator, der meine Beobachtungen und Empfehlungen sehr ernst nimmt. An vielen Stellen, zum Beispiel bei der Polizei, bin ich außerdem kein Fremder, weil ich bereits früher im Opferschutz aktiv war. Und dass auch andere Bundesländer an meiner Arbeit interessiert sind, zeigt doch, dass das Konzept zu überzeugen scheint.

ZEIT ONLINE: Erwarten Sie, dass Berlin durch Ihre Benennung auch tatsächlich sicherer wird?

Weber: Das hoffe ich. Aber ich bin Realist. Es wird sich nicht auf einen Schlag alles ändern. Aber wenn sich die Bürger dank meines Einsatzes sicherer fühlten, wenn mehr Opfer aus ihrer Deckung kämen, wäre schon viel gewonnen.


Beitrag erschienen in: Zeit Online

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