Wenn Liebeswahn zum Albtraum wird

Eingetragen von Rechtsanwalt Roland Weber MBE am 23. Apr 2008 zum Thema Opfervertretung

Katrin L. möchte ihr altes Leben wiederhaben. Die 50-Jährige sitzt abends in ihrer dunklen Wohnung am Kreuzberger Maybachufer und wagt sich kaum zu bewegen. “Ich fühle mich absolut überwacht”, sagt sie verängstigt. “Der hat mich schon angerufen und gesagt: ,Na, gehen wir heute schon so früh ins Bett?’ Oder er hat gefragt, wie das Fernsehprogramm war.”

Katrin L. ist ein klassisches Stalking-Opfer. Eine Frau, die von ihrem ehemaligen Freund verfolgt und mit Anrufen und E-Mails gepeinigt wird. Die von der Ersten Oberamtsanwältin Heidi Kleine geleitete Abteilung bei der Amtsanwaltschaft Berlin hat seit dem 1. August vergangenen Jahres wegen Stalkings mehr als 1000 Ermittlungsverfahren bearbeitet. Bei der Staatsanwaltschaft am Landgericht Berlin, die sich um die schwereren Fälle kümmert, haben sich nach Auskunft von Sprecher Michael Grunwald im selben Zeitraum rund 330 Ermittlungsverfahren angehäuft.

Bei einem sehr drastischen Fall, sagt Grunwald, habe ein zurückgewiesener Liebhaber seiner ehemaligen Gefährtin zuerst Salzsäure in den Motorraum ihres Autos gekippt und später die Klinken des Wagens mit hochgefährlicher Flusssäure bestrichen. Als die ahnungslose Frau damit in Berührung kam, sei sie mit schrecklichen Schmerzen ins Krankenhaus gefahren worden. Der Täter sitze jetzt in Untersuchungshaft und warte auf seinen Prozess.

Auch bei dem Berliner Rechtsanwalt Roland Weber, dessen Kanzlei auf Opferschutz spezialisiert ist, werden immer mehr Stalking-Opfer vorstellig. “Es muss keineswegs der Fall sein, dass diese Straftaten zunehmen”, sagt Weber. Der Jurist hält es für möglich, “dass die Mandanten durch die neue, für sie günstigere Gesetzeslage aktiver geworden sind und jetzt die Möglichkeit sehen, sich erfolgreich zu wehren”.

Stalking-Opfer Biedermann
Stalking (deutsch: Nachstellung) wurde viele Jahre lang bagatellisiert. Polizisten antworteten den Opfern oft: “Wir können erst eingreifen, wenn auch wirklich was passiert.” Sensibilisiert wurde die Öffentlichkeit durch Schicksale Prominenter, über die in den Medien berichtet wurde. So auch über die Sängerin Jeanette Biedermann, die ein Stalker bis in ihre Neuköllner Maisonnettwohnung hinein verfolgte und bedrängte. Der damals 39-Jährige wurde im November 2004 zu einer Geldstrafe von 3600 Euro verurteilt. Allerdings nur wegen Hausfriedensbruch und Diebstahl. Letztlich hatte dieses Urteil, was sein “Verhältnis” zu der Künstlerin betraf, wenig Erfolg. Er war auch nach dem Prozess noch davon überzeugt, dass Jeanette Biedermann seine Liebe erwidere und es sich nur nicht eingestehen könne.

Stalking war damals in Deutschland noch kein Straftatbestand. Das hat sich seit dem 31. März 2007 mit der Einführung des Paragrafen 238 Strafgesetzbuch geändert. Seitdem wird eine “einfache Nachstellung” mit bis zu drei Jahren Haft oder mit Geldstrafe geahndet. Bis zu fünf Jahre Haft kann es geben, wenn der Stalker sein Opfer durch die Nachstellungen gesundheitlich schädigt - dazu zählen auch psychische Schäden. Treibt er sein Opfer in den Tod, muss der Stalker mit bis zu zehn Jahren Haft rechnen. Psychische Schäden als Folge des Stalkings wurden Katrin L. aus Kreuzberg von einem Facharzt bereits attestiert. Sie ist unruhig, hypernervös, misstrauisch, kann sich nicht konzentrieren. Auf die Straße traut sie sich nur in Begleitung. “Außer am sehr frühen Morgen”, sagt sie. “Da weiß ich, dass er seine Wohnung putzt. Das macht er jeden morgen.”

Kennengelernt hatte sie ihren Peiniger im August 2006. Der neun Jahre jüngere Marco N. (Name geändert) arbeitete damals als Pflasterer am Maybachufer. Katrin L. konnte ihn von ihrem Fenster aus sehen. Man habe sich irgendwann einmal zugewinkt und sei später auf der Straße ins Gespräch gekommen, erinnert sie sich. “Anfangs gab es da auch sehr viel Sympathie.” Erst nach einigen Wochen sei ihr aufgefallen, dass der 1,85 Meter große, kräftige Mann “sehr besitzergreifend und krankhaft eifersüchtig” war. Auch habe er trotz seiner körperlichen Präsenz und seines guten Aussehens unter starken Minderwertigkeitsgefühlen gelitten. “Ich musste alles regeln, er war nicht einmal in der Lage, in einem Restaurant eine Rechnung zu prüfen.”

Als sie ihm nach vier Monaten sagte, dass die Beziehung keine Zukunft habe, brach er in Tränen aus. Es folgte noch ein gemeinsamer Urlaub. Danach verkündete sie ihm das Ende. “Ich dachte, das wird nicht so schwer”, sagt sie. “Wir wohnten ja jeder noch in der eigenen Wohnung.” Doch die gelernte Altenpflegerin merkte schnell, dass ihre Prognose falsch war: “Es begann ein Albtraum.”

Werner E. Platz, Leiter der Psychiatrischen Institutsambulanz II des Vivantes-Netzwerkes für Gesundheit, kennt “Schicksale wie dieses nur zu gut”. Es handele sich “um eine einseitige, emotionale Beziehungen und um Verhalten, das nicht erwidert wird und durch Opfer in der Regel auch nicht korrigierbar ist”.

Die Täter seien nicht selten Menschen, “die sich zurückgewiesen und gedemütigt fühlen”. Andere handelten aus sogenanntem Liebeswahn. Werner E. Platz: “Oft sind dann Prominente die Opfer.” Bei wieder anderen sei Rache der Beweggrund, oder sie fänden daran Befriedigung, ihre Opfer zu quälen. Seltener seien Fällen mit echtem Krankheitswert: Stalker, die dann oft unter starken Psychosen oder Neurosen litten.

Im Vergleich zu den meisten anderen Straftaten ist Stalking nach Erfahrungen von Platz “keine Männerdomäne”. Der renommierte Psychiater sieht die Rollen zwischen Männern und Frauen gleichmäßig verteilt, “wenn es nicht gar ein Übergewicht bei den Frauen gibt”.

Stalking-Opfer Katrin L. besitzt inzwischen einen dicken Ordner, in dem die Nachstellungen ihres Ex-Freundes aufgelistet sind: Telefonterror - an manchen Tagen hatte er bis zu 60-mal angerufen. Herumlungern vor ihrem Wohnhaus - auch Nachbarn war das schon aufgefallen. Und nicht zuletzt massive Drohungen. “Er hat mir sogar angekündigt, er werde mir einen gewaltbereiten türkischen Arbeitskollegen schicken”, sagt sie, “und dann würde ich schon sehen.” Er selber sei jedoch glücklicherweise noch nicht gewalttätig geworden.

Katrin L. hat inzwischen die Kanzlei von Roland Weber eingeschaltet. Der sieht als gesetzliche Grundlage, um gegen Stalking vorzugehen, auch das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Gewaltschutzgesetz. Hier beträgt die angedrohte Höchststrafe zwar nur ein Jahr. “Es ist aber mit einstweiligen Verfügungen möglich, den Stalker binnen kurzer Zeit zu stoppen”, so Weber. So muss sich Marco N. jetzt von seiner ehemaligen Freundin mindestens mit einem Abstand von 100 Metern fernhalten, er darf sie nicht anrufen, keine E-Mails schicken, keine Drohungen über Dritte übermitteln. Tut er es doch, drohen ihm ein Ordnungsgeld bis zu 250 000 Euro oder bis zu sechs Monate Haft.

Post vom Anwalt hilft
Optimistisch ist Stalking-Opfer Katrin L. trotzdem nicht. “Mein Exfreund hat ja schon öfter gegen Auflagen verstoßen”, sagt sie. “Und er findet immer wieder neue Ausreden und sogar dubiose Zeugen, die für ihn lügen und ihm Alibis geben.”

Für Anwalt Weber ist klar, “dass es bei dieser Konstellation nur noch eine Strafanzeige wegen Nachstellerei (Stalking) geben kann.” Und wenn Marco N. auch das nicht vom Stalking abhalten könne, käme sogar Untersuchungshaft in Betracht. Glücklicherweise seien aber nicht alle Stalker derart hartnäckig, resümiert Anwalt Roland Weber. “Oft wirkt schon ein erstes unmissverständliches Anwaltsschreiben an den Täter - und dann kehrt ganz schnell Ruhe ein.”

Von Michael Mielke 23. April 2008


Beitrag erschienen in: Welt Online

Weitere Artikel

Roland Weber MBE zu Gast im True Crime Podcast vom Tagesspiegel: “Tatort Berlin”

Im True-Crime-Podcast „Tatort Berlin“: Warum ein Rentner seine große Liebe tötet" ist Rechtsanwalt Roland Weber zu Gast und spricht über einen Fall, der die schrecklichste Seite des Pflegedesasters offenbart ...

Zum Artikel

Experteninterview mit Roland Weber MBE in STERN CRIME PLUS

Vor Gericht geht es um viel: Schuld, Unschuld, Strafe und Freiheit. Um wen es kaum geht: die Opfer und ihre Angehörigen. Nebenklage-Spezialist Roland Weber verschafft ihnen Gehör ...

Zum Artikel

Spurwechsel

Aktuell hatte der Bundesgerichtshof zu entscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2022, Az: VI ZR 1308/20), ob bei einem Unfall im Zusammenhang mit dem Wechseln einer Fahrspur der Fahrspurwechsler regelmäßig für den Schaden (mit)haftet.

Zum Artikel

Büro Berlin-Mitte

Zimmerstraße 55
10117 Berlin

Tel: 030 440 17703
Fax: 030 440 17704

Email: info@wup.berlin

Kontaktieren Sie unsKontakt