Kein Zutritt für Opfer-Anwalt

Eingetragen von Rechtsanwalt Roland Weber MBE am 22. Feb 2006 zum Thema Opfervertretung

Am Freitag beginnt unter Ausschluß der Öffentlichkeit der Mordprozeß gegen den 16jährigen Keith M. Die Eltern des ermordeten Christian Sch. wollten sich den qualvollen Auftritt vor Gericht ersparen - fühlen sich nun aber dazu gezwungen.

Der Prozeß gegen den 16jährigen Keith M., der am 27. August in Zehlendorf den siebenjährigen Christian Sch. getötet haben soll, wird vermutlich mit einem Eklat beginnen: Anwalt Roland Weber, der Christians Eltern als Zeugenbeistand vertritt, wird verwehrt, der Verhandlung in vollem Umfang beizuwohnen. Die 30. Große Strafkammer beruft sich auf das Jugendgerichtsgesetz, nach dem bei Verfahren gegen Jugendliche der Auftritt eines Nebenklägers nicht zulässig ist.
Diesen Status wollte Weber jedoch gar nicht erreichen. Er hatte am 18. Januar bei der Kammer eine Beiordnung als Rechtsbeistand für die Eltern des Opfers und ein damit verbundenes Anwesenheitsrecht beantragt. Allerdings ohne Erfolg. Auch ein zweiter, am 9. Februar gestellter Antrag wurde vom Vorsitzenden der Strafkammer am Telefon abschlägig beschieden. Als Begründung, so Anwalt Weber, hätte ihm der Richter Bedenken des Verteidigers von Keith M. genannt. Es sei daher zu befürchten, daß der Verteidiger das Anwesenheitsrecht des Opfer-Anwalts für eine Revision nutzen könnte.

Weber hält das für nicht nachvollziehbar: “Das ist ein zögerliches Vorgehen auf Kosten der Angehörigen des Opfers.” Auch juristisch seien die Bedenken des Vorsitzenden Richters nur schwer nachvollziehbar. Mehrere Oberlandesgerichte hätten in diesem Punkt anders entschieden. Zudem gebe es bisher kein einziges Revisionsverfahren, das sich auf die Beiordnung eines Zeugenbeistandes während des gesamten Prozesses stütze.
Keith M. soll sein Opfer mit einem Ast und massive Tritte gegen den Kopf getötet und den Leichnam anschließend zur eigenen sexuellen Befriedigung geschändet haben. Die Eltern des kleinen Christian hatten ursprünglich dem Prozeß fernbleiben wollen. “Sie fürchteten, die geschilderten Details nicht aushalten zu können”, sagt Weber. “Und sie waren davon ausgegangen, daß ein Anwalt ihre Interessen in diesem Prozeß vertritt, auch wenn er nicht die Befugnisse eines Nebenklagevertreters besitzt.” Weil Weber vom Gericht die Zulassung zur Verhandlung verwehrt worden sei, würden die Eltern am Freitag schweren Herzens nun doch erscheinen. Denn ihnen könne man es nicht verbieten, dem unter Ausschluß der Öffentlichkeit geführten Prozeß beizuwohnen.
Nach Meinung des renommierten Gerichtspsychiaters Werner Platz könnte die Nichtzulassung des Anwaltes für die Eltern des ermordeten Jungen emotionale Folgen haben. Oftmals seien es gerade Opfer von Gewalt- und Sexualstraftaten, die im Gerichtssaal eine besonders schwere Form der Bewältigung der schrecklichen Erlebnissen durchmachen müßten. “Für diese sind dann die sie begleitenden Anwälte eine wichtige Stütze.” Es gebe aber auch Angehörige von Opfern, die sich die furchtbaren Details der Tat nicht anhören wollen und gerade deshalb einen Anwalt beauftragen, um einen Vertrauten im Saal zu haben, der das Geschehen überwacht. Wenn dies vom Gericht verboten werde, so Platz, könne das Einfluß auf den Verarbeitungsprozeß haben. “Denn der brutale Verlust eines geliebten Menschen beschäftigt die Hinterbliebenen ewig.”

Der Mord an dem Kind hatte in der Hauptstadt eine Diskussion über den Umgang mit jugendlichen Intensivtätern ausgelöst. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hatte in diesem Zusammenhang strengere Gesetze zum Schutz vor Gewalt gefordert. Der mutmaßliche Mörder von Christian Sch. war trotz eines Haftbefehls wegen eines brutalen Übergriffs auf einen Bundeswehrsoldaten auf freiem Fuß gewesen.
Ein Punkt, den auch die Berliner Kriminalpolizei kritisiert. André Rauhut, Chef der Mordkommissionen: “Die Tat hat unser ganzes Dezernat sehr bewegt. Auch der Umstand, daß nach dem Angriff auf den Soldaten keine Untersuchungshaft angeordnet worden war.” Ein anderer Beamter wird noch deutlicher: “Der kleine Junge könnte noch leben, wenn die Justiz nicht so gedankenlos gearbeitet hätte. Sie trifft eine große Mitschuld.”

Mittwoch, 22. Februar 2006 04:00 - Von Michael Mielke und Michael Behrendt


Beitrag erschienen in: Berliner Morgenpost

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