“Unbegreiflich, dass der Todesschütze einfach so abgedrückt hat”

Eingetragen von Rechtsanwalt Roland Weber MBE am 23. Nov 2006 zum Thema Opfervertretung

Sie hat in den letzten Nächten wenig geschlafen. Auch weil sie immer daran denken musste, dass sie heute im Saal 500 des Moabiter Kriminalgerichts demMörder ihres Mannes begegnet. Heike Lieschied will erleben, wie Mehmet E. auftritt, ob er sein Geständnis wiederholt und ob er ihr “in die Augen sehen kann”. Es sind inzwischen acht Monate vergangen, seitdem der Polizeihauptkommissar Uwe Lieschied am Rande der Neuköllner Hasenheide vom
Mehmet E. niedergeschossen wurde. Für Heike Lieschied, die mit dem Polizisten 20 Jahre verheiratet war, “ist es immer noch so, als sei es gerade erst passiert”, sagt sie.

Die 40-Jährige hat noch jedes Detail in Erinnerung: Da gab es den Anruf, dass ihrem Mann etwas passiert sei. Es folgte die Fahrt ins Krankenhaus Neukölln, bei der sie von einem guten Freund ihres Mannes begleitet wurde. Im Krankenhaus erfuhr sie, dass ihr Mann einen Kopfschuss erlitten habe. Er sei gerade bei einer computertomografischen Untersuchung, teilte ihr eine Ärztin mit. Unruhe und Befürchtungen
wurden immer größer. Und sie hatte sich nicht getäuscht. Eine andere Ärztin kam und sagte leise, dass ihr Mann nach der Computertomografie sofort operiert worden sei. “Ich kann Ihnen nur sagen, es sieht nicht gut aus”, fügte sie hinzu, “machen Sie sich auf das Schlimmste gefasste.” Heike Lieschied verbrachte dann vier Tage auf dieser Station. Meist neben ihrem Mann. “Ich habe ihm alles Mögliche erzählt: Über die Ermittlungsergebnisse und dass alle hoffen, dass er das übersteht.” Uwe Lieschied lag im Koma. Es war nicht gelungen, das Projektil aus dem Schädel des 42-Jährigen zu entfernen. “Zum Schluss habe ich ihm nur noch gesagt, dass unsere Söhne und ich alles geregelt bekommen und dass seine Kollegen den Täter auf der Spur sind.” Schon am 18. März teilten Ärzte Heike Lieschied mit, dass ihr Mann hirntot sei. “Ich hatte dennoch das Gefühl, dass er mich irgendwie verstand.” Auch dass er registriert habe, die Täter seien eingekreist und würden bald gefasst. “In diesem Moment konnte Uwe loslassen.” Das war am 21. März. Um 14.45 Uhr wurden an diesem Tag die Geräte abgeschaltet, und Uwe Lieschied galt nun offiziell als tot.

Es gab eine große Anteilnahme in Berlin und weit über die Grenzen hinaus. Am 23. März beteiligten sich 8000 Polizisten an einem Schweigemarsch, der vom Polizeipräsidium am Platz der Luftbrücke über die Hasenheide zum Abschnitt 55 im Rollbergviertel führte, wo der Hauptkommissar seit 1992 seinen Dienst versah.

“Ich habe mich über das riesige Mitgefühl gefreut”, sagt sie, “aber gleichzeitig wurde mir alles zu viel.” Sie arbeitet derzeit auch nicht mehr in der kleinen Gaststätte der Neuköllner Laubenkolonie “Zur Windmühle”, wo sie vor dem Tod ihres Mannes die Geschäfte führte. “Wir hatten hier seit 1996 unseren Garten”, sagt sie. “Alle kannten Uwe. Jeder sprach mich an, versuchte zu trösten, wollte mich unterstützen. Es war absolut gut gemeint, aber es war nicht immer leicht zu ertragen.” Auch die Wohnung in Britz hat Heike Lieschied aufgegeben. Sie und ihr Mann hatten sie erst im Februar dieses Jahres bezogen. “Mehr als 100 Quadtratmeter, dahinter ein kleiner Garten, hier wollten wir alt werden.” Anfang März hatten sie ein neues Schlafzimmer gekauft. Uwe Lieschied hatte die Möbel zwei Tage vor seinem Tod aufgebaut. “Ich konnte da nicht mehr rein gehen”, sagt Heike Lieschied, “ich habe bis zum Umzug im Wohnzimmer geschlafen.”

Sie und ihr jüngerer Sohn leben jetzt in Neukölln in einer kleineren Wohnung. Auch die Mutter wohnt in dieser Gegend, ebenso ein Bruder, und
nur wenige Steinwürfe entfernt eine Schwester in einem Einfamilienhaus. “Die Familie hält zusammen”, sagt Heike Lieschied. “Das hilft mir.
Ich kann einfach mal schnell rüber laufen und fühle mich nicht mehr allein.”

Heike Lieschied ist erleichtert, dass nun der Prozess beginnt. Sie weiß nicht, ob sie an jedem Verhandlungstag erscheinen wird. “Die Kontrolle werde ich trotzdem behalten”, sagt sie, schließlich sei ja ihr Anwalt Roland Weber vor Ort und werde sie nach jedem Prozesstag informieren. Weber spricht von einem komplizierten Verfahren. Es müsse erst einmal abgewartet werden, “ob Mehmet E. bei seinem Geständnis bleibt”. Sehr schwierig sei zudem die Beweislage beim mutmaßlichen Mordkomplizen Yusuf K. Heike Lieschied kann es auch heute “noch immer nicht begreifen, dass der Todesschütze einfach so abgedrückt hat”.


Von Michael Mielke 23. November 2006


Beitrag erschienen in: Welt Online

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