Wenn aus Liebe Angst wird

Eingetragen von Rechtsanwalt Roland Weber MBE am 24. Okt 2011 zum Thema Opfervertretung

Dann packte er die Frau plötzlich am Hals und würgte sie. Heute erscheine ihm das “unvorstellbar sinnlos”, heißt es in der vor wenigen Tagen erschienenen Biografie, “aber ich konnte meinen Zorn nicht mehr in vernünftige Bahnen lenken”. Es sind die Erinnerungen des langjährigen ZDF-Moderators Dieter Thomas Heck, der im September 1971 seine damalige Ehefrau attackierte. Ein Geständnis, das für Furore sorgte. Gewalt, noch dazu im engsten Familienkreis, wird sonst eher in einem anderen Milieu vermutet. Dort, wo es materielle Not gibt, wenig Bildung, Arbeitslosigkeit, Alkoholexzesse. Andere, wie die Musikpädagogin und Kulturmanagerin Kerstin Lefherz, sind “von dem Outing des Moderators weniger überrascht”.

Die 52-Jährige ist Gründerin der Initiative hGibs (häusliche Gewalt in bildungsnahen Schichten) und sieht “diese Gewaltausbrüche in bürgerlichen Familien schon lange nicht mehr als Ausnahmeerscheinung”. Sie hat selbst häusliche Gewalt erleben müssen, “diese bis ins tiefste Mark gehende Demütigung”. Sie zog die Konsequenzen. Bis hin zum Umzug aus Süddeutschland nach Berlin, wo sie für sich und ihre vier Kindern eine neue Existenz aufbaute.

In der Berliner Kriminalstatistik des Jahres 2010 sind 15 972 Fälle von häuslicher Gewalt vermerkt. Drei von vier Beschuldigten sind Männer. Dabei muss aber auch berücksichtigt werden, dass viele gewalttätig gewordene Männer eine Gegenanzeige stellen, um von dem eigenen Handeln abzulenken. Rund 13 500 Anzeigen führten zu Verfahren bei der Amtsanwaltschaft Berlin. Das Ergebnis ist ernüchternd: Mehr als 10 000 dieser Verfahren, so die Erste Oberamtsanwältin Heidi Kleine, wurden wieder eingestellt - blieben also ohne Sanktion.

Ursache dafür, sagt Heidi Kleine, sei fast ausnahmslos die unzureichende Beweissituation. “Jeder, ob nun das mutmaßliche Opfer oder der mutmaßliche Täter, hat seine Sicht. Es gibt fast immer keine weiteren Zeugen. Da steht dann Aussage gegen Aussage, und wir kommen nicht weiter.” Oft ändere sich im Laufe des Verfahrens auch die Haltung der Frauen. “Sie wollen plötzlich ihre Anzeige zurückziehen und machen von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.”

Nicht ganz so fatal ist die Statistik bei den Familiengerichten. Etwa jeder zweite Gewaltschutzantrag wird hier positiv beschieden, sagt Gregor Profitlich, Familienrichter am Amtsgericht Schöneberg. In der Konsequenz darf sich der Gewalttäter seinem Opfer dann nicht mehr nähern (in der Regel wird ein Abstand von mindestens 50 Metern festgelegt). Er darf sein Opfer nicht mehr anrufen. Und es ist ihm ebenso untersagt, der misshandelten Partnerin SMS und E-Mails zu schicken oder zu versuchen, über Dritte einen Kontakt zu herzustellen. Möglich ist auch, den prügelnden Ehemann mit Hilfe des Gerichtsvollziehers aus der Wohnung entfernen zu lassen.

Ein Großteil der Fälle, so Familienrichter Profitlich, müsse aber auch in seinem Verhandlungssaal ad acta gelegt werden. “Ich kann wegen der mangelnden Beweislage keine Schutzanordnung treffen. Die Beteiligten gehen noch verletzter aus diesem Vorgang heraus, als sie es vorher waren. Und der Ehemann fühlt sich vielleicht auch noch bestätigt.” Vor allem, wenn es in dieser Beziehung Kinder gebe, sei das ein großes Problem. In derartigen Situationen würde Profitlich sogar raten, auf eine Strafanzeige bei der Polizei zu verzichten. “Da ist die Beweissituation dann ja auch nicht besser.” Und ein konstruktives Gespräch, auch und vor allem im Sinne der Kinder, sei nach dem Einschalten der Strafermittlungsbehörde kaum noch möglich. “Ich kann dann nur versuchen, die Eltern zu motivieren, ihre Streitigkeiten beizulegen und eine Ebene zu erreichen, wo sie zwar nicht mehr als Paar, aber immer noch als Eltern funktionieren”, sagt Profitlich. “Wenn ich jedoch überzeugt bin, dass es einen schlagenden Vater gibt und ein Kind, das diese Prügelszenen erleben muss, dann habe ich natürlich auch kein Problem mit einer Strafanzeige.”

Welchen Bildungsstand die misshandelten Frauen haben, wird weder im Familiengericht noch im Sonderdezernat häusliche Gewalt der Amtsanwaltschaft statistisch erfasst. Monika Schöttle, die an der Universität Bielefeld zu diesem Thema forscht, geht aber davon aus, dass unter den Männern, die ihre Frauen misshandeln, “ein relativ hoher Anteil aus gesellschaftlichen Eliten” komme. Eine schlüssige Erklärung für diese Gewalt der Familienväter und Lebenspartner gibt es nicht. Da könne vieles ursächlich sein, sagt Kerstin Lefherz, die mit Monika Schöttle schon seit Jahren eng zusammen arbeitet: mangelndes Selbstwertgefühl des Mannes, Versagensgefühle neben einer selbstbewussten Frau, unbewältigte Konflikte. “In vielen Fällen ist es auch Angst, die Frau zu verlieren”, sagt Lefherz, “das wird von den Männer bei Therapiegesprächen häufig geäußert”.

“Gewalt ist nicht abhängig von schlechter Bildung”

Roland Weber, Opfer-Anwalt


Auch nach den Erfahrungen des Berliner Opferanwalts Roland Weber “ist Gewalt nicht abhängig von schlechter Bildung oder mangelndem Vermögen. Es wird quer durch alle gesellschaftlichen Schichten geprügelt, beleidigt, herabgewürdigt, gedemütigt”, bestätigt der Jurist. “Der Unterschied zu den bildungsfernen Schichten ist, dass bei besser Gebildeten oft perfider vorgegangen wird.” Da werde auch sehr konkret darüber nachgedacht, “wie man die Frau dauerhaft quälen, fertig machen und unterwerfen kann, ohne dass es juristisch relevant wird. Nicht selten auch durch verbale Gewalt.” Aber die Frauen, die in seine Kanzlei kämen, hätten meist ohnehin nur selten den Wunsch, den prügelnden Mann ins Gefängnis zu bringen, sagt Weber. “In erster Linie wünschen die Opfer, dass sie wahrgenommen werden, dass man ihnen glaubt und dass diese Situation ein Ende hat.” Und schon dieser Schritt in die Kanzlei eines Anwalts sei für die Frauen ein erster kleiner Sieg.

Ähnlich erleben es Polizisten, die zum Tatort gerufen werden. “Gewalt gibt es überall. Der Unterschied zu den so genannten einfachen Leuten ist, dass unsere Beamten in bürgerlichen Gegenden von den Tätern sogar noch bedroht werden”, sagt die Polizeioberkommissarin Gabriele Segeritz, Koordinatorin für das Sachgebiet häusliche Gewalt bei der Polizeidirektion 3 in Tiergarten. “Da heißt es dann: Wenn Sie jetzt eine Anzeige schreiben, schalte ich einen Anwalt ein und dann werden Sie schon sehen, was Sie davon haben.” Die Bereitschaft der betroffenen Frauen, Anzeige zu erstatten, sei meist ohnehin gering. Das ziehe sich aber durch alle Bevölkerungsgruppen: “Es ist ja fast immer keine plötzliche Aggression, die diese Frauen erleiden müssen. Es ist eine Spirale der Gewalt. Und wir wissen, dass die Frauen ungefähr sieben Anläufe brauchen, um sich aus dieser Spirale zu befreien.”

Kerstin Lefherz kennt diese Spirale, hat von traumatisierten Frauen, die zur Initiative hGibs kommen, immer wieder davon gehört. “Landläufig denken wir: Es gibt einen Streit, und wenn der Stärkere nicht mehr weiß, was er sagen soll, wird er eben gewalttätig.” Doch es geschehe keineswegs so mechanisch. “Häufig sagen die Frauen: Ich wusste gar nicht, was los war, und plötzlich schlug er zu.” Hier gehe es nicht um einen zufälligen Ausrutscher, sagt Lefherz. “Wir reden über ein Konzept der Demütigung und Erniedrigung, das dazu führen soll, dass der Täter in der höheren Position ist. Ein weiterer, oft verbreiteter Irrtum sei, dass es sich um schwache Frauen handele, um quasi programmierte Opfer. “Es sind nicht die unselbstständigen Frauen, die in häusliche Gewalt geraten”, so Lefherz. “Es sind meist Frauen, die im Leben stehen, die selbstbewusst sind, emanzipiert und die auch durchaus in der Lage sind, ihr Leben selbst zu managen. Und wenn diese Frauen mental sehr stark sind, ist es für den Mann umso schwerer, sich über sie zu stellen und sie mundtot zu kriegen.” Da gebe es am Ende nur noch die überlegene körperliche Kraft, die bewusst eingesetzt werde. “Es ist eine Entscheidung für Gewalt.”

Kerstin Lefherz hatte nach ihrem eigenen Martyrium versucht, mit anderen Opfern häuslicher Gewalt ins Gespräch zu kommen. Doch die schien es nicht zu geben. Niemand - auch Ärzte und Psychotherapeuten nicht - konnte ihr damals Kontakte vermitteln. “Es war, als ob ich immer wieder auf Watte gestoßen wäre, auf ein seltsames Vakuum”, erinnert sie sich. “Bis auf vereinzelte Sensationsmeldungen gab es keine Informationen, keine Ansprechpartner, keine Empfehlungen. Alles, worauf ich traf, waren vage Spuren und Hinweise.” So seien sie und ihre Kinder sogar lange davon ausgegangen, “in unserem Umfeld die einzige betroffene Familie zu sein”.

Heute ist ihr klar, warum das so war: “Es ist für viele immer noch ein Tabu-Thema. Wenn die Frauen aussteigen, bricht oft auch das gesamte soziale Gerüst zusammen. Ihre Existenz rutscht weg. Sie müssen ihre Anwaltskanzlei verlassen, ihre Arztpraxis schließen oder ihre freiberufliche Existenz aufgeben. Und sie bekommen Probleme bei Verwandten und im Freundeskreis, weil der Täter meist manipuliert und die Fakten falsch darstellt. “Es ist eine Schwächung erfolgt, und diese Schwächung ist durchschlagend.”

“Frauen brauchen mehrere Anläufe, bis es zur Anzeige kommt”

Gabriele Segeritz, Polizeioberkommissarin

In der vergangenen Woche organisierte die Initiative hGibs im Friedenauer “Haus der Berliner Festspiele” zum zweiten Mal ein interdisziplinäres Symposium zum Thema “Gewalt in bildungsnahen Schichten”. Präventionsbeauftragte der Polizei waren zu Diskussionen geladen, Juristen, Ärzte, Künstler, Vertreterinnen von Vereinen und Hilfsorganisationen. Doch ein Patentrezept für misshandelte Frauen wurde auch hier nicht gefunden. “Jeder Fall ist anders”, sagt Lefherz. “Es klingt immer so einfach: Geschlagen worden? Na dann, zack, Anzeige bei der Polizei! Das ist gesellschaftlich sicher richtig, aber im Einzelfall eben doch eine harte Nummer mit großen Konsequenzen.” In akuten Situationen, wenn Verletzungen drohen, gebe es keine Alternative. In anderen Fällen, so Lefherz, würde sie empfehlen, sich an Vertraute zu wenden oder auch an eine Hilfsorganisation wie hGibs. Dort könnten die traumatisierten Frauen sich beraten lassen und entscheiden, was getan werden muss - für ein neues Leben ohne Gewalt.

von Michael Mielke

 

 


Beitrag erschienen in: Berliner Morgenpost

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