Handwerker bringen Rentnerin um alle Ersparnisse

Eingetragen von Rechtsanwalt Roland Weber MBE am 22. Okt 2007 zum Thema Opfervertretung

Berlin - Erna N. ist 87 Jahre alt, kann nur noch an Krücken laufen und trägt einen elektronischen Sender bei sich, mit dem sie bei akuten gesundheitlichen Problemen sofort Helfer alarmieren kann. Aber sie ist eine starke Frau. Vermutlich fiel sie im August 2005 auf einen Betrüger herein und verlor dabei ihre sämtlichen Ersparnisse. Doch am 25. Oktober will sie dem Mann wieder gegenübertreten: wenn er im Moabiter Kriminalgericht wegen Betrugs auf der Anklagebank Platz nehmen wird.

Die Rentnerin schildert, was damals passiert sein soll: Kennengelernt hatte sie Rinaldo K. als vermeintlichen Dachdeckermeister. Der 37-Jährige klingelte am 29. August 2005 an der Pforte ihres Grundstücks im Ortsteil Heiligensee. Als sie fragte, was er wolle, blickte er zum Dach und schüttelte skeptisch den Kopf. Da sei einiges im Argen, sagte er. Aber er habe langjährige Erfahrungen mit Dachsanierungen und könne ja mal kurz einen fachmännischen Blick darauf werfen. Erna N. war verunsichert. Die ehemalige Stenotypistin lebt seit 50 Jahren in diesem Haus. Seit 1960, als ihr Lebensgefährte starb, organisiert sie alles allein. “Ich bin mit Handwerkern immer gut ausgekommen”, sagt sie, “die haben mich auch nie übers Ohr gehauen.” So ließ sie an diesem Tag arglos auch den vermeintlichen Dachdecker auf ihr Grundstück. Und das Unglück nahm seinen Lauf. Zunächst wollte er nur 1470 Euro haben. Die Summe erhöhte er noch am selben Tag auf 2900 Euro. Einen Tag darauf - seine Mitarbeiter oder besser: Mittäter hatten sofort mit den Arbeiten begonnen - waren es schon 6000 Euro. “Seinen ersten Kostenvoranschlag”, erinnert sich die Rentnerin, “hat er sich von mir zurückgeben lassen und ihn zerrissen.” Sie war beunruhigt, hoffte aber immer noch, er würde das Dach tatsächlich reparieren. Doch das Dach war nachher in weitaus schlechterem Zustand als vor Beginn der Arbeiten. Das Garagendach wurde von einem Mitarbeiter des vermeintlichen Dachdeckermeisters sogar mutwillig zerstört - um es dann, natürlich gegen Bezahlung, wieder notdürftig herrichten zu können.

Täter suchen sich ältere Hausbesitzer aus Rüdiger Thaler, Geschäftsführer der Berliner Dachdeckerinnung, kennt “traurige Geschichten wie diese nur zu gut”. Er spricht von “Dachhaien”. In den vergangenen Monaten, sagt er, hätten diese Betrügereien auch wieder stark zugenommen. Er kennt auch den Fall Rinaldo K. Doch derzeit falle besonders oft der Name einer anderen Dachdecker-Firma aus Winnenden im Bundesland Baden-Württemberg. “Die haben ganz offenbar bundesweit Subfirmen installiert”, so Thaler, “und haben sich vor allem auf Einfamilienhäuser mit älteren Bewohnern spezialisiert.” Die Masche sei immer gleich: Den Bewohnern wird suggeriert, ihr Dach sei defekt. Zunächst werden nur geringe Reparaturkosten offeriert, die aber zunehmend steigen. “Die meisten trauen sich dann gar nicht mehr zu widersprechen, weil ihr Dach offen ist.” Konsequenz, so Thaler: “Eine fast immer völlig unnötige komplette Dachsanierung, die handwerklich meist auch noch völlig unzureichend ausgeführt wurde, und Kosten, die in die Zehntausende gehen.”
Erna N. zahlte für diese “Sanierungsarbeiten” rund 26 000 Euro. Sie hatte am Ende nicht mehr gewagt zu widersprechen. “Wir können auch anders”, lauteten die Drohungen nach Angaben der zierlichen Frau. “Die waren richtig grob”, sagt sie. Die Staatsanwaltschaft wertet dies als Erpressung. Diese Behandlung hat die Rentnerin bis heute nicht verwinden können: “Ich fühle mich nicht mehr so sicher wie früher. Und ich habe seitdem auch gesundheitlich ganz schön abgebaut.” Unterstützung fand sie bei ihrem Nachbar Dieter S. Dem pensionierten Polizeihauptkommissar war die Sache sofort verdächtig, als er die Rechnungen sah und die Arbeiten am Dach begutachtete. Und er sollte Recht behalten. Ein Gutachter bilanzierte laienhaft ausgeführte und zum Teil auch nur vorgetäuschte Arbeiten. Zudem seien von der 87-Jährigen total überhöhte Summen kassiert worden.
Einen Anwalt beauftragen wollte Erna N. damals dennoch nicht. “Ich dachte, dann kommen ja wieder Kosten auf mich zu”, sagt sie, “und meine Ersparnisse waren ja ausgegeben.” Durch die Vermittlung von Nachbar Dieter S. kam sie dann mit Mitarbeitern der Opferhilfe-Organisation “Weißer Ring” in Kontakt. Die stellten eine Verbindung zu dem Anwalt Roland Weber her, der den Fall übernahm. “Wir dachten damals nicht sofort an eine Strafanzeige”, sagt Weber. “Wir haben zunächst versucht, Herrn K. zu einer Rückzahlung von zumindest 15 000 Euro zu bewegen.” Vergeblich, Rinaldo K. hatte auf diese Schreiben des Anwalts nicht reagiert.

Vorwurf der Erpressung
In der Zwischenzeit stellte sich auch heraus, dass der mehrfach vorbestrafte Mann unweit von Oldenburg nur eine Firma für Holz- und Bautenschutz betrieb. Er hätte sich also gar nicht als Dachdecker ausgeben und auch keine entsprechenden Arbeiten ausführen dürfen. Auch in Niedersachsen ist er schon wegen seiner dubiosen Auftragsbeschaffungen bekannt. Der Handwerkskammer Oldenburg liegen mehrere Beschwerden vor. Und die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs in Frankfurt/Main hat ihn im November 2005 gegen Drohung einer Strafe von 4000 Euro abgemahnt.
Am Donnerstag wird es nun zum Strafprozess kommen. Die Staatsanwaltschaft hat Rinaldo K. wegen Erpressung und Betruges angeklagt. Anwalt Weber will in diesem Prozess auch gleich 26 000 Euro Schadenersatz fordern. Seine Mandantin ist als Zeugin geladen. Sie hofft nicht mehr darauf, ihr Geld von K. zurückzubekommen. “Ich sterbe sowieso bald”, sagt Erna N. “Aber ich will, dass dieser Ganove bestraft wird.”


Montag, 22. Oktober 2007 04:00 - Von Michael Mielke


Beitrag erschienen in: Berliner Morgenpost

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