Nach 50 Gläsern Tequila war Lukas tot

Eingetragen von Rechtsanwalt Roland Weber MBE am 11. Feb 2009 zum Thema Opfervertretung

Er tat es bei den Ermittlungen und er wird es vermutlich als Angeklagter wieder tun. Aytac G. wird von einem „tragischen Unglück“ sprechen. Der 28-Jährige steht ab Mittwoch wegen Körperverletzung mit Todesfolge vor der 22. Großen Strafkammer des Berliner Landgerichts.

Sein Verfahren ist ein Novum in der bundesdeutschen Justizgeschichte. Es geht um den 16-jährigen Lukas W., Schüler einer neunten Klasse des Zehlendorfer Dreilinden Gymnasiums, der sich mit Tequila regelrecht zu Tode trank.
Doch auch wenn die rechtliche Lage umstritten ist – ein tragisches Unglück, das also auch mit gutem Willen kaum zu verhindern gewesen wäre, ist das Schicksal des Jugendlichen mit Sicherheit nicht. So sieht es zumindest Lukas W.s Vater, der bedauert, „dass so viel Zeit verging, bis es nun endlich zu diesem Prozess kommt. Wir, die Eltern, möchten endlich wissen, was damals wirklich passiert ist“, sagt der 56-Jährige.

Der Tod seines Sohnes löste bundesweit eine Debatte über exzessiven Alkoholkonsum von Jugendlichen aus. Die Gesundheitsverwaltung lieferte alarmierende Fakten: So hat sich seit dem Jahr 2000 die Zahl der Jugendlichen, die betrunken ins Krankenhaus gebracht werden müssen, mehr als verdoppelt. Allein im vergangenen Jahr wurden in Berlin mehr als 1200 alkoholisierte Kinder und Jugendliche von der Polizei aufgegriffen.

Forderungen machten die Runde, das Trinken auf öffentlichen Plätzen generell zu verbieten und den Ausschank alkoholischer Getränke an Jugendliche strikt zu untersagen. Ein neues Wort gehörte plötzlich zum allgemeingültigen Wortschatz: das Flatrate-Trinken. Dahinter verbirgt sich ein Geschäftsmodell, bei dem gegen einen Pauschalbetrag bis zum Abwinken getrunken werden darf. Bei Jugendlichen oft vorbei an der Gaststättenverordnung, natürlich auch am Jugendschutzgesetz.

„Wer zuerst kotzt, hat verloren“
Einen Schritt weiter an den Gesetzen und Verordnungen vorbei, in diesem Fall auch an Strafgesetzen, war das, was Anfang 2007 in der Charlottenburger Kneipe „Eye T“ geschah. Lukas W. soll den Wirt Aytac G. sehr gut gekannt, ihn wie einen älteren Bruder geschätzt und ihm das verhängnisvolle Wetttrinken sogar selber vorgeschlagen haben: „Wer zuerst kotzt, hat verloren.“ Schon im Januar 2007 soll mehrfach darüber gesprochen worden sein. Der Jugendliche war siegessicher – „an Alkoholika gewöhnt“, „trinkgewohnt“, wie es auch seitens der Staatsanwaltschaft eingeschätzt wird.
Das kann aber für Aytac G., wenn überhaupt, nur eine geringe Entlastung sein. Den Ermittlungen zufolge hatte der Wirt am 27. Februar 2007 nicht nur den seltsamen Zweikampf mit dem mehr als zehn Jahre jüngeren Gymnasiasten angenommen, sondern ihn auch noch getäuscht und so letztlich weiter ins Verderben getrieben: Während Lukas W. ein Glas Tequila nach dem anderen in sich hinein schüttete, trank Aytac G. zum überwiegenden Teil nur Wasser.
Unterstützt wurde der Wirt dabei von mehreren jungen Leuten. Einer füllte auf Geheiß des Gastronomen die Gläser, ein anderer führte eine Strichliste und informierte die im Saal versammelten Gäste über die Zwischenstände. Nach etwa 25 Runden soll Lukas W. versehentlich das falsche Glas gegriffen und erstaunt das Wasser zur Kenntnis genommen haben. Doch er blieb arglos und bestand sogar darauf, dass ihn der Wirt auf die Toilette begleitet – um dem Verdacht vorzubeugen, er könne sich dort heimlich übergeben.

4,4 Promille Blutalkohol
Nachdem er knapp 50 Tequila getrunken hatte, sank Lukas W. bewusstlos zusammen und knallte mit dem Kopf auf den Tisch. Das war gegen 4.30 Uhr. Der Wirt soll frohlockt haben: „Ich habe gewonnen.“ Zeugen trugen Lukas W. auf eine Couch und brachten ihn in die stabile Seitenlage. Gegen fünf Uhr soll der Wirt das Lokal verlassen haben, ohne sich weiter um den reglos da liegenden Lukas W. zu kümmern. Kurz darauf schrieb einer der Jugendlichen mit einem Stift auf Lukas W.s Bauch „Du hast verloren!“ Nachdem der sich noch immer nicht regte, kontrollierte eine unruhig gewordene Hilfskellnerin seine Atemtätigkeit und seinen Puls. „Wir können ihn hier nicht liegen lassen“, soll sie gefleht haben, „sonst krepelt der uns noch ab.“
Als kurz darauf das Gesicht von Lukas W. blau anzulaufen begann, wurde schließlich der Rettungsdienst der Feuerwehr informiert. Dieser brachte den mittlerweile ins Koma gefallenen Jungen ins Weddinger Virchow-Klinikum. Er hatte eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 4,4 Promille. Am 29. März 2007, er war aus dem Koma nicht mehr erwacht, verstarb Lukas W. an den Folgen dieser schweren Alkoholvergiftung.
Aytac G.s Kneipe war vom Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf im April 2007 „wegen fortwährend begangener grober Verstöße gegen den Jugendschutz“ geschlossen worden. Der Wirt kam im Juli 2007 in Untersuchungshaft, musste nach einem halben Jahr trotz dringenden Tatverdachtes und Fluchtgefahr aber wieder entlassen werden. Offenbar gab es für die zuständige Strafkammer keine triftigen Gründe, den gesetzlichen Rahmen von sechs Monaten Untersuchungshaft zu überschreiten.
Nun ist Aytac G. angeklagt wegen Körperverletzung mit Todesfolge, außerdem wegen falscher Versicherung an Eides statt und zahlreicher Verstöße gegen das Jugendschutzgesetz. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, als Betreiber einer Gaststätte in mehr als 170 Fällen alkoholische Getränke an Kinder und Jugendliche verkauft zu haben – auch noch nach dem Tod von Lukas W. Zudem soll er Jugendlich mit Dumpingpreisen angelockt habe: Tequila für einen Euro, Cocktails für 3,90 Euro. Das soll – wie offenbar angestrebt – zu einem regelrechten Ansturm jugendlicher Gäste geführt haben. Laut Zeugen soll es mehrfach zu Wetttrinken gekommen sein.
Im Februar 2008 wurden bereits zwei junge Männer, die in der Kneipe ausgeholfen und den Wirt bei den Wetttrinken unterstützt hatten, wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung verurteilt.

Bislang keine Freisprüche
Das Gericht verpflichtete sie, an einem zehn Monate langen sozialen Trainingskurs teilzunehmen. Das Revisionsbegehren eines der jungen Männer wurde inzwischen vom Bundesgerichtshof als unbegründet zurückgewiesen. In einem weiteren Prozess im Januar dieses Jahres stellte eine Jugendkammer das Verfahren gegen die ebenfalls an dem tödlichen Wetttrinken beteiligte Aushilfskellnerin wegen geringer Schuld ein. Zugute gehalten wurde ihr von dem Gericht, dass sie sich um den kollabierten Lukas W. gekümmert und schließlich auch den Rettungswagen gerufen hatte. Die 18-Jährige muss auf Weisung der Richter lediglich an einem Erste-Hilfe-Kurs teilnehmen.
Nicht unmaßgeblich für den aktuellen Prozess ist die Tatsache, dass es in keinem dieser bisherigen Verfahren einen Freispruch gab. Obwohl von Verteidigern immer wieder argumentiert wurde, dass es sich um ein freiwilliges und keineswegs erzwungenes Trinken gehandelt habe. Das Opfer habe dem Wetttrinken eingewilligt, eine Verurteilung wegen Körperverletzung käme also nicht in Frage. Rechtsanwalt Roland Weber, der für Lukas W.s Vater vor Gericht die Nebenklage vertritt, sieht das anders.
Auch wenn es vor Gericht erstmals um die tödlichen Folgen eines Wetttrinkens gehe, sei die generelle Rechtslage keineswegs ungeklärt: „Das beginnt schon bei der Einwilligung, die meines Erachtens gar nicht wirksam sein kann.“ So hätte der Wirt an einen 16-Jährigen gar keine harten Alkoholika ausschenken dürfen. Auch sei Lukas W. das tödliche Risiko des Wetttrinken mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht klar gewesen. „Und beachtet werden muss auch, dass die vermeintliche Einwilligung durch eine Täuschung erreicht wurde, weil der Wirt zunächst ja nur Wasser trank.“

Lukas’ Vater, der jetzt in Sachsen-Anhalt lebt, wird den Prozess nur aus der Ferne beobachten und sich von Anwalt Weber informieren lassen. „Es geht ja letztlich nicht nur um meinen Sohn“, sagt er. „Wer die Medien verfolgt, merkt, dass dieses Thema nach wie vor sehr aktuell ist.“ Vor wenigen Tagen erst wurde über einen 16-Jährigen berichtet, der mit drei Promille im Blut auf die Intensivstation des Neuköllner Krankenhauses gebracht werden musste. „Was nützen Gesetze und Verordnungen“, sagt Wilfried W., „wenn nicht genügend Mittel bereit gestellt werden, damit der Verkauf von Alkohol auch konsequent kontrolliert und gegebenenfalls auch sanktioniert werden kann?“

Mittwoch, 11. Februar 2009 10:25 - Von Michael Mielke


Beitrag erschienen in: Berliner Morgenpost

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