Wenn das Verkehrszeichen nicht (mehr) sichtbar ist

Eingetragen von Rechtsanwalt Markus Lehmann am 15. Feb 2011 zum Thema Verkehrsrecht

In der Praxis des Straßenverkehrs kommt es nicht selten vor, dass Betroffene gegenüber einem Ordnungswidrigkeitsvorwurf einwenden, dass sie dass betreffende Verkehrsschild gar nicht wahrgenommen haben oder wahrnehmen konnten.

Einen solchen Fall hatte jetzt das OLG Hamm zu entscheiden (vom 30.09.2010 Az: III-3 RBs 336/09), da nach dem dortigen Sachverhalt der Betroffene eingewandt hatte, dass er das Schild „Tempo-30-Zone“ durch entsprechenden Baum- und Strauchbewuchs nicht mehr erkennen konnte. Das Amtsgericht hatte zwar die Nichterkennbarkeit des Verkehrsschildes festgestellt, hatte dann aber den Betroffenen dennoch wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt, da der Betroffene anhand der örtlichen Verhältnisse hätte erkennen müssen, dass er sich in einer Tempo-30-Zone befand.

Dies hat das OLG Hamm anders gesehen und zunächst den „Sichtbarkeitsgrundsatz“ bestätigt, wonach ein nichterkennbares Verkehrsschild keine Verbindlichkeit entfaltet.
Nach dem Sichtbarkeitsgrundsatz muss der Verkehrsteilnehmer die entsprechende Anordnung des Verkehrszeichens ohne weitere Überlegung erfassen können. Für die Wirksamkeit der entsprechenden Gebote und Verbote müssen die Verkehrszeichen ausreichend erkennbar sein und bleiben. Werden Verkehrszeichen aufgrund von Abnutzung, Bewuchs bzw. Witterungsbedingungen (z.B. zugeschneit) unkenntlich, dann verlieren sie nach der Begründung des OLG Hamm ihre Wirksamkeit.
In dem zu entscheidenden Fall konnte der Betroffene dann nur bzgl. der Geschwindigkeitsüberschreitung, welche über 50 km/h liegt, verurteilt werden, da der Betroffene anhand der örtlichen Verhältnisse zumindest davon ausgehen musste, dass er sich innerhalb einer Ortschaft befand. Ein weitergehender Rückschluss von den örtlichen Verhältnissen auf eine Tempo-30-Zone ist hingegen nicht zulässig.

Diese Entscheidung des OLG ist für Betroffene aber kein völliger Freifahrtsschein, da der Amtsrichter jede Verteidigung des Betroffenen dahingehend, dass das Verkehrsschild nicht erkennbar gewesen sei, genau hinterfragen wird. So muss das Verkehrsschild nicht nur ein bisschen verschneit und zugewachsen sein, auch ist immer zu prüfen, ob der Betroffene die Strecke nicht eventuell genau kannte, da diese z.B. den täglichen Weg zur Arbeit darstellt, da dann davon auszugehen ist, dass er das Verkehrsschild mit dem entsprechenden Gebot oder Verbot kannte.


Beitrag erschienen in: Rudow Live

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